24. Oktober 2024 | 14:30 Uhr

Tagung: Verketzerungsprozesse

Gemeinde Südharz

Bei der Auseinandersetzung mit Thomas Müntzer und anderen Vertretern der „radikalen Reformation“ wird ein Phänomen eher selten beachtet: der Vorgang der „Verketzerung“ dieser Gruppierungen durch die etablierten Wittenberger Reformatoren. Luther und Melanchthon lenkten die Berichterstattung über Müntzer und die von ihm angeblich angestifteten Bauern bewusst so, dass das rigide Vorgehen gegen die Aufständischen aus religiöser Perspektive gerechtfertigt wurde. Die radikalen Ansichten und Aussagen ihrer Gegner sind dabei oftmals nur in Schriften der Reformatoren erhalten.

Das Verfahren, Konkurrenten jeglicher Art – politischer, sozialer, religiöser – durch Häresievorwürfe zu schädigen und in letzter Konsequenz auszuschalten, ist im 16. Jahrhundert jedoch keineswegs neu. Bereits im Mittelalter wurde es in verschiedenen Kontexten zur Anwendung gebracht: In den Städten wurden politische und soziale Konflikte mit Hilfe des Häresie-Arguments ausgetragen oder, im umgekehrten Fall, Anklagen vor dem Inquisitor bewusst unterdrückt oder marginalisiert, um den sozialen Frieden zu wahren. Religiösen Gruppierungen wie den Waldensern oder Geißlern wurden von den Verfolgern häretische Glaubensinhalte zugeschrieben, die anderweitig in den Quellen nicht nachgewiesen werden können. Im Falle Müntzers und der Täufer konnten die Wittenberger Reformatoren schließlich auf ein bereits jahrhundertealtes Erfahrungswissen im Umgang mit unliebsamen religiösen Konkurrenten zurückgreifen.

Im Kontext des bevorstehenden Bauernkriegsgedächtnisses im Jahr 2025 eröffnet die Tagung einen neuen Blick auf den Umgang der neu entstandenen religiösen Gruppierungen des 16. Jahrhunderts miteinander, der sich die Ergebnisse der Spätmittelalterforschung zunutze macht.

Programm am Donnerstag, 24. Oktober 2024

14.30–15.15 Uhr        Grußworte, Einführung

1. Verketzerung im Mittelalter und in der Reformationszeit

15.15–16.00 Uhr        Markus Krumm (München): In provintia Narbonensi, ubi quondam fides floruerat … Verketzerungsprozesse um 1200 und die aktuelle Debatte über die katharische Gegenkirche

16.00–16.30 Uhr        Kaffeepause

16.30–17.15 Uhr        Georg Modestin (Freiburg/Uechtl.): Sed reversus ad vomitum colligere et disseminare discipulos non desistit. Die Verketzerung der ersten Waldenser (Ende des 12. Jahrhunderts)

17.15–18.00 Uhr        Cornelia Linde (Greifswald): Entketzerung in quaestiones quodlibetales

Programm am Freitag, 25. Oktober 2024

9.00–9.45 Uhr        Stefan Rhein (Wittenberg): „Das neue Monster“. Luther in katholischen Ketzerkatalogen

2. Müntzer und „Schwärmer“

9.45–10.30 Uhr        Thomas Hahn-Bruckart (Rostock): Von „Schwermern“, „Geystern“, „Pickarden“ und „Böhmen“: Strategien und Semantiken der Verketzerung im Kontext der frühen Wittenberger Reformation

10.30–11.00 Uhr        Kaffeepause

11.00–11.45 Uhr        Friedemann Stengel (Halle): Polemik und Produktion. Vom Bauernkrieg ins Lehrbuch

11.45–12.30 Uhr        Marianne Taatz-Jacobi (Halle): Müntzer vs. Wittenberg. Die posthume Verketzerung Thomas Müntzers

12.30–14.00 Uhr        Mittagspause

3. Täufer

 14.00–14.45 Uhr        Jakob Debelka (Halle): Gütergemeinschaft in der Hutschen Täuferbewegung. Von der Praxis gegenseitiger Hilfe zum Vorwurf umstürzlerischer Utopie

14.45–15.30 Uhr        Andreas Lindner (Erfurt): Von Ketzern und Ketzermachern – die Täufer in der Perspektive der Wittenberger Reformation

15.30–16.00 Uhr        Kaffeepause

16.00–16.45 Uhr        Ulrike Kaiser (Kahla): Der Fall Hans Schleier: „Happy End“ durch Melanchthon

16.45–17.30 Uhr        Aneke Dornbusch (Bonn): „Er hatte 24 Frauen […]“ – Sexuelle Devianz als Topos in Verketzerungsprozessen der Reformationszeit

Programm am Samstag, 26. Oktober 2024

4. Die longue durée der Verketzerungsrhetorik

9.00–9.45 Uhr        Ingrid Würth: Herkunft als Stigma und Ketzer als Vorbilder

9.45–10.30 Uhr        Andreas Pečar (Halle): Eine Arminian Revolution in Stuart-England? Wie die neuere Kirchengeschichte der zeitgenössischen Verketzerungsrhetorik auf den Leim ging

10.30–11.00 Uhr        Kaffeepause

11.00–11.45 Uhr        Simon Franzen (Tromsø): Das „Quaker-Irrlicht“ und die „Rettung der Göttlichen Wahrheit“: Christoph Heinrich Löbers (1634-1705) Konstruktion des Quäkertums als Irrlehre

11.45–12.30 Uhr        Katharina Neef (Leipzig): Ketzer als das verkörperte Andere. Stereotype über Ketzer, Sekten und Andere, mit denen man nichts zu tun haben will

  • Donnerstag, 24. Oktober 2024
  • 14:30 - 18:00 Uhr
  • Rathaus Stolberg
  • Rittergasse 2

    06536 Südharz | OT Stolberg (Harz)